Montag, 2. November 2015

Ereignis- und Medienrealität im Fotojournalismus


Vor kurzem las ich in Vorbereitung eines Seminars erneut einen Text des Kommunikationswissenschaftlers Hans-Matthias Kepplinger, der sich mit unterschiedlichen Formen von Ereignissen im Journalismus beschäftigt*. Seine Unterscheidung von Ereignis- und Berichtsebene sowie die Herleitung der drei Ereignisformen genuin, mediatisiert und inszeniert, nutze ich seit einiger Zeit in Seminaren und Workshops, die sich kritisch mit Fotojournalismus und massenmedialer Bildberichterstattung beschäftigen. An dieser Stelle möchte ich der Frage nachgehen, was es heißt, die drei Ereignisformen auf den Fotojournalismus zu übertragen und eine Diskussion darüber anregen.

Dabei steht im Vordergrund die Frage, was es für das fotografische Abbild eines Ereignisses bedeutet, ob das Ereignis selbst ein genuines, mediatisiertes oder inszeniertes Ereignis war. Denn verkürzt könnte man annehmen, dass eine Fotografie eines inszenierten Ereignisses damit auch eine inszenierte Fotografie ist, also nicht nur das Dargestellte sondern auch die Darstellung inszeniert sind. Genau das ist meiner Ansicht nach ein Trugschluß. Eine der zentralen Normen im Fotojournalismus ist die Authentizitätsnorm. Sie ergibt sich aus der Augenzeugenschaft des Fotojournalisten bzw. der Fotojournalistin und besagt, dass von Seiten des Fotojournalisten bzw. der Fotojournalistin kein Eingriff in die Bildsituation erlaubt ist. Darüber hinaus soll das Bild fotografisch so umgesetzt werden, dass ein natürlicher Bildeindruck entsteht. Gleichzeitig sind auch im Fotojournalismus inszenierte Fotografien erlaubt, beispielsweise bei einem Porträt, wo der Fotograf die Fotografierten dirigiert.

Was dies in der Praxis heißt, möchte ich an einem Beispiel vom Jahresbeginn  veranschaulichen. Dabei geht es zum einen um die Frage, was inszeniert ist, das Ereignis oder die Fotografie und zum anderen die Rolle der darin involvierten Akteure. Am Rande einer Solidaritätsdemonstration für Charlie Hebdo nach dem Terroranschlag auf die Redaktion, kamen Dutzende Staats- und Regierungschefs nach Paris. Am Rande der Demonstration gab es in einer Seitenstrasse einen Fototermin für die Presse, wo sich die Staatslenker in einer geschlossenen Reihe den Fotografen zeigten. Die Fotografen lichteten das Ereignis so ab, wie es die Presseabteilung geplant hatte**. Trotzdem allem handelt es sich in diesem Fall um ein genuines Nachrichtenbild eines inszenierten Ereignisses, da der Fotograf bzw. die Fotografin nicht in das Geschehen eingegriffen haben bzw. eingreifen konnten. Hier wird sehr schön auch die Unterscheidung zwischen Dargestelltem und Darstellung deutlich. Inszeniert war das Dargestellte, nicht die Darstellung***. Als inszenierte Fotografie wäre das Bild dann zu bezeichnen gewesen, wenn die Inszenierung der Situation vom Fotografen ausgegangen wäre, als manipulierte Fotografie, wenn der Fotografie den Bildinhalt digital verändert hätte.

Einige mögen diese Darlegungen möglicherweise als intellektuelle Spitzfindigkeiten abtun, oder darin analytische Spielchen sehen. Dem möchte ich jedoch vehement widersprechen. Meiner  Ansicht nach haben wir es zunehmend mit einem Glaubwürdigkeitsverlust der Medien unter anderem aufgrund pauschal geäußerter Manipulations- und Inszenierungsvorwürfen in Bezug auf den Fotojournalismus zu tun. Diese rutschen jedoch, da sie völlig unspezifisch geäußert werden, ins Beliebige ab. Wenn alles inszeniert und manipuliert ist, dann gibt es keine Wahrheit, dann gibt es keine Verantwortung der involvierten Akteure. Dies halte ich für fatal. Deswegen plädiere ich an dieser Stelle dafür, dieser Beliebigkeit eine detaillierte Analyse entgegenzustellen, die in der Lage ist, die medialen Konstruktionsprinzipien zu hinterfragen und nachvollziehbar zu machen. Das auseinander dividieren von Ereignis- und Medienrealität, von Dargestelltem und Darstellung und den damit verbundenen Implikationen halte ich für einen wichtigen Teil davon.

* Kepplinger, Hans Mathias (2001): Der Ereignisbegriff in der Publizistikwissenschaft, in: Publizistik 46 (2),  S. 117 - 139.
** Pressetermine und Fotoereignisse wie diese stellen einen elementaren Teil symbolischer Politik dar und finden sich auf Pressekonferenzen, Gipfeltreffen, etc.
*** Problematisch war dagegen die Verwendung der Bilder in vielen Medien. Hier wurde das Bild in vielen Fällen so in die Berichterstattung eingefügt und ungenau kontexualisiert, dass der Konsument annehmen konnte, die Staatslenker hätten tatsächlich die Demonstration angeführt. Dies ist ein gravierender Fehler, der jedoch nicht den Charakter des Nachrichtenbildes sondern dessen Verwendung betrifft.

1 Kommentar:

  1. Wie wichtig wird die von Ihnen hier als so bedeutsam festgestellte Differenzierung „…von Ereignis- und Medienrealität, von Dargestelltem und Darstellung und den damit verbundenen Implikationen …“ des Nachrichtenbildes, wenn das Nachrichtenbild so vom Fotografen/von der Fotografin „gestaltet“ wurde, dass es nur so (wie geschehen) verwendet werden kann?
    Nicht die Verwendung des Bildes in den Medien, sondern die Gestaltung des so verwendeten Bildes war problematisch. Die Fotografen/Fotografinnen haben den Auftrag erfüllt, das Bild so zu gestalten, dass „…das Bild (…)so in die Berichterstattung eingefügt und ungenau kontexualisiert (werden konnte d. Verf.), dass der Konsument annehmen konnte, die Staatslenker hätten tatsächlich die Demonstration angeführt“. Nun zu sagen, dass die Fotografen/Fotografinnen sich redlich an den Maßgaben der „glaubwürdigen“, journalistischen Fotografie gehalten hätten, ist unredlich. Es ist m.E. ein wissenschaftlich verbrämtes rausschleichen aus der Verantwortung und ein Festhalten an der überkommenen Vorstellung eines wahren Fotojournalismus`.
    H. Nau

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