Samstag, 13. Februar 2016

Reflexionen über das Publikum

Publizistische Medien befinden sich in einem rasanten Wandel, der große Bedeutung für die Veröffentlichung dokumentarfotografischer Arbeiten hat. „Many are also acknowledging that conventional media no longer be the best publishing venues – print magazines, for example, do not constitute the photographers’ paradise they once sometimes did“ so James Richtin in seinem Essay „Bending the Frame“ aus dem Jahr 2013. Reportagen die früher in bekannten Magazinen wie dem New York Times Magazine, dem Rolling Stone, Paris Match oder Life erschienen, erreichten dort zu Hochzeiten 6- bis 7-stellige Leserzahlen. Davon sind die Auflagen der Magazine, die noch auf dem Markt sind, weit entfernt. Darüber hinaus hat sich die Anzahl der Seiten die für eine Strecke zur Verfügung gestellt wird immer weiter reduziert.

Wenn dies eine in der professionellen Fotografie allgemein geteilte Auffassung ist, stellt sich automatisch die Frage, wer heute das Publikum für die Dokumentarfotografie ist, über welche Medien und Formate dieses erreicht wird und wo dieses zu finden ist. Dabei sind sich vermutlich alle einig, dass diese Form der  Fotografie um ihrem Charakter als gesellschaftspolitisch relevantem Medium gerecht zu werden, eine Öffentlichkeit braucht. Darüber hinaus brauchen vor allem dokumentarfotografische Arbeiten Platz, um ihre Wirkmächtigkeit zu entfalten. Die Herstellung von Öffentlichkeit bedeutet, die fotografischen Arbeiten in einen größeren Kontext zu stellen und in den politischen, sozialen und kulturellen Diskurs einzubinden. Dies entspricht dem Interesse vieler  Dokumentarfotografen, mit ihren Projekten Geschichten erzählen und damit in die Gesellschaft hinein wirken zu wollen.

Aber nur noch wenige publizistische Medien wie beispielsweise das Special-Interest Magazin Mare erlauben das Abdrucken längerer Geschichten, die einem Autor zugeordnet werden können. Viele werden als Alternative das Internet nennen. Aber hier gibt es mit wenigen Ausnahmen wenig hochkarätige Formate, wo dokumentarische Arbeiten einer Magazinstrecke ähnlich gewürdigt werden. Auch wenn einzelne Bilder und Arbeiten möglicherweise mehr Klicks als früher bekommen, ist die Frage ob die Aufmerksamkeit für die Strecken letztlich nicht geringer ist. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Fotografen auf Fotografiefestivals, Fotobücher und Ausstellungen ausweichen. Viel davon findet jedoch in kleinen Galerien statt, die vor allem von Mitgliedern der eigenen Profession sowie einer spezialisierten Szene wahrgenommen werden. Und auch wenn Fotofestivals wie das Lumix Festival für jungen Fotojournalismus im Jahr 2014 Besucherrekorde mit über 35.000 Menschen feiern, ist dies im Vergleich zur Auflage gedruckter Medien immer noch recht wenig. Darüber hinaus ist ein Großteil der Besucher Teil der Szene.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Aber daraus leitet sich die Frage ab, ob das Zeigen dadurch nicht einen immer stärker einen selbstreferentiellen Charakter bekommt. Natürlich veröffentlichen einige der Fotografen aus der Szene auch in Massenmedien, wo ihre Bilder eine weite Verbreitung erfahren. Oft handelt es sich dabei jedoch um ein Einzelbild eines größeren Werkkomplexes oder einer längeren Recherchereise, welches dann in der New York Times oder auf Spiegel Online abgedruckt wird. So sehen die Kundenlisten vieler Dokumentarfotografen grundsätzlich beeindruckend aus: NYT, SZ, Spiegel, ... Aber zu fragen ist, ob mit dem was die Fotografen erzählen wollen, sie dort zum einen das richtige Forum bekommen und sie zum anderen das richtige Publikum treffen. Treffender wäre es vermutlich sich einzugestehen, dass das Publikum für diese Arbeiten vergleichsweise klein ist und dass nur wenige Arbeiten eine größere Breitenwirkung erfahren. Dies hat zur Folge, als dass man die Frage stellen muß, wie groß die gesellschaftliche Relevanz der Dokumentarfotografie in dem Sinne ist, als dass sie Impuls gebend und Diskurse prägend ist. Im Vergleich mit anderen medialen Erzähl-  und Darstellungsformen vermutlich leider nicht mehr allzu groß.


Richtin, Fred (2013): Bending the Frame: Photojournalism, Documentary, and the Citizen, New York: Aperture, S. 40.

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