Montag, 5. September 2016

Ein Blick auf die Probleme der Welt


Im südfranzösischen Perpignan trifft sich jedes Jahr Anfang September die internationale Fotojournalismusszene beim Festival "Visa pour l'Image". Schwerpunkt ist die sogenannte "Professional Week" mit Fotografenvorträgen, Podiumsdiskussionen, Portfoliosichtungen und abendlichen Projektionen. Daneben werden ein gutes Dutzend Ausstellungen international bekannter Fotojournalisten gezeigt, die vom langjährigen Festivalleiter Jean-Francois Leroy ausgesucht und zum Teil kuratiert wurden.

 

Die Fotografie, die in Perpignan zu sehen ist, lässt sich am besten mit den Stichworten Nachrichten- und Pressefotografie umschreiben. Viele der Fotografen die mit Ausstellungen vertreten waren, arbeiten frei oder festangestellt für internationale Agenturen wie Associated Press (AP), Agence France Presse (AFP), Reuters oder SIPA Press. Die Ausstellungen behandeln meist tagesaktuelle Themen, die in Form von umfangreichen Serien gezeigt werden. Im Vordergrund stehen in der Regel Themen aus der Konflikt- und Krisenberichterstattung. Krise wird dabei jedoch nicht nur politisch, sondern auch sozial und humanitär verstanden. Der Ruf Perpignans, ein Ort für die klassische Kriegsfotografie zu sein, konnte sich in diesem Jahr jedoch nicht bestätigen.

Das dominanteste Thema der diesjährigen Ausstellungen war die sogenannte Flüchtlingskrise, die beispielsweise von Yannis Behrakis von Reuters oder Aris Messinis von AFP eindrucksvoll ins Bild gesetzt wurde. Treffend war vor allem der Titel zu Messinis Serie "Krieg in Zeiten des Friedens". Dass die Flüchtlingskrise so prominent vertreten war ist nicht verwunderlich, war dies doch eines der wichtigsten Themen des letzten Jahres der internationalen Agenturen. Wie wichtig die Tagesaktualität für das Festival ist, zeigte sich auch am Monatsrückblick der wichtigsten Themen, der am Anfang der abendlichen Präsentationen stand. Andere ausgestellte Themen waren z.B. das Zika Virus in Brasilien (Felipe Dana), der Alltag von Abhängigen der Droge Paco in Argentinien (Valerio Bispuri) der Kampf gegen den IS (Frédéric Lafargue) oder der Krieg in Afghanistan (Andrew Quilty).

Ausnahmen von der Krise und die Ethik

Aber es gab auch Ausnahmen von der Krise. So war eine Serie der Französin Claire Allard zu sehen, die Backstage Bühnenarbeiter bei ihrer Arbeit begleitete. Leider war diese jedoch fotografisch sehr monoton im immergleichen Weitwinkelformat umgesetzt. Und Catalina Martin-Chico folgte den Spuren der letzten Nomaden im Iran zwischen ihren Sommer- und Winterlagern und zeigte die Schwierigkeiten, sich zwischen einem urbanen Leben und dem Nomadentum zu entscheiden. Mit dem Canon Female Photojournalist Award war schon 2015 die Arbeit von Anastasia Rudenko über Internate von Psychisch Kranken in Russland ausgezeichnet worden. Und Niels Ackermann lieferte ein intimes Porträt der Kinder von Tschernobyl in Slavutych, der jüngsten Stadt der Ukraine.

Einige der präsentierten Arbeiten entstanden in Zusammenarbeit mit NGO's oder wurden gleich komplett von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (Fractured State von Dominic Nahr über den Südsudan) oder politischen Institutionen wie dem Europäischen Parlament (Displaced über weibliche Migranten von Marie Dorigny) finanziert. Dies führte dieses Jahr auf dem Festival zu Recht zu einer von James Enstrin auf dem New York Times Lens Blog angestoßenen Debatte über die Ethik und die Unabhängigkeit des Journalismus. Wobei es sicherlich keine einfache Antwort auf die Frage gibt, wo in einem immer komplexer werdenden Fotojournalismusmarkt die Grenzen redaktioneller und fotojournalistischer Freiheiten liegen.



Visa und die Stadt

Nur höchsten selten wird das Festival im Kontext der Stadt Perpignan betrachtet, weshalb an dieser Stelle ein Hinweis in dieser Richtung nicht fehlen soll. Die Diskrepanz zwischen den für das Festival aus der ganzen Welt anreisenden Besuchern und der Stadt könnte nicht größer sein. Es herrscht eine seltsame Stimmung in der Stadt, die ein beklemmendes Gefühl hinterlässt. Dies liegt vor allem an den vielen geschlossenen Geschäften, der offensichtlichen Armut vieler Bewohner der Altstadt und einer offenen Drogenszene. Der Gegensatz zu den von der Polizei abgeschirmten Ausstellungsorten sowie den luxuriösen Abendempfängen auf der einen Seite und dem Alltag der Stadt auf der anderen Seite ist augenfällig und das wohl größte Paradox des Festivals.


Mehr Informationen zum jährlichen stattfindenden Festival gibt es auf der Webseite www.visapourlimage.com und dem dazugehörigen Blog https://visapourlimage.wordpress.com/. Etwas ausführlichere Rezension zu Visa werden demnächst beim Onlinemagazin "Menschen machen Medien" der DJU sowie in der Oktoberausgabe der Zeitschrift Photonews erscheinen.

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