Donnerstag, 10. März 2016

Verwässerung der Dokumentarfotografie


Darüber, was dokumentarische Fotografie bedeutet und was nicht, lässt sich mithin trefflich streiten. Während für die einen dazu nur Arbeiten zählen, die einen klaren fotojournalistischen Anspruch haben, der Eingriffe in das Geschehen vor der Kamera ausschließt, sind für andere damit auch Arbeiten möglich, die einen klaren inszenatorischen Charakter haben oder beispielsweise mit „Found Footage“ arbeiten. Ein gutes Beispiel, wie weit die Grenzen des Dokumentarischen in der zeitgenössischen Fotografie gezogen werden, zeigt die Ausstellung der Gewinner des Dokumentarfotografie-Förderpreises aus dem Jahr 2013 der Wüstenrot Stiftung, die zur Zeit im Photomuseum Braunschweig zu sehen ist.

Der Dokumentarfotografie-Förderpreis der Wüstenrot Stiftung ist einer der wenigen Foren in Deutschland, in denen dokumentarische Fotografie prämiert wird. Andere Preise die einen ähnlichen Rahmen abdecken, sind der Freelens Award oder der N-Ost Recherchepreis. Beide existieren jedoch nicht annähernd so lange und haben nicht ein solches Prestige wie der Preis der Wüstenrot Stiftung. Darüber hinaus ist der Preis anders als die anderen beiden thematisch offen und verfügt über keine Altersbegrenzung. Vergeben wird er alle zwei Jahre, zuletzt im Herbst 2015. Aktuell tourt jedoch die Ausstellung des 10. Jahrgangs, vergeben im Jahr 2013, durch Deutschland.

Gewinner des Preises im Jahr 2013 waren vier Fotograf_innen, die alle ganz unterschiedliche Ansätze und Themen verfolgten. Birte Kaufmann reüssierte mit der dokumentarischen Serie „The Travellers“ über eine kleine Gemeinschaft von Iren die in Tradition der Wanderhandwerker in provisorischen Wohnwagen und Unterkünften leben. Sara-Lena Maierhofer überzeugte die Jury mit einer künstlerisch-konzeptionellen Arbeit über den italienischen Medienmogul Silvio Berlusconi unter dem Titel „The Great“. Arne Schmitt gewann mit Auszügen aus seinem Buch „Die neue Ungleichheit“, einem in Schwarz-Weiß gehaltenen Bildband über neoliberale Architekturen in Köln. Kalouna Toulakoun überzeugte mit der Arbeit „In der Erwartung großer Stürme“, für die er die Spuren seiner laotischen Familie auf der ganzen Welt verfolgt.

Das Feld des Dokumentarischen wird in diesen vier Arbeiten sehr weit aufgespannt. Was die Bildsprache angeht, so steht nur noch die Arbeit von Kaufmann in einer klassischen dokumentarischen Tradition. Toulakoun sucht bereits nach anderen Bildformen und bezieht sehr stark das Umfeld und Gegenstände der von ihm porträtierten mit ein. Umgekehrt gibt es bei Kaufmann keinerlei Bildunterschriften und damit keine Möglichkeit, die einzelnen Bilder bestimmten Orten zuzuordnen und zu erfahren, wer die Abgebildeten sind, während Toulakoun zu jedem Bild eine ausführliche Bildunterschrift präsentiert.

Mit dem Fokus auf einen konzeptionellen Ansatz bewegt sich Arne Schmitt bereits am Rande der dokumentarischen Fotografie. Verstärkt wird dies noch durch eine eher essayistische Präsentationsform, die aus thematischen Tafeln mit drei Bildern und kurzen Texten besteht. Die Grenze ausgereizt bzw. überschritten hat Sara-Lena Maierhofer. Bei ihr ist nicht ein Mal erkennbar, welche Fotografien von ihr stammen bzw. welche Found-Footage sind. Man kann höchstens Vermutungen anstellen. Darüber hinaus sind die Bilder auf eine Art und Weise im Raum angeordnet, dass sie eine Stimmung zum Titel „The Great“ erzeugen sollen. Die einzelnen Fotografien zeichnen sich dabei durch einen großen Grad an Abstraktion aus.

Der Blick auf das Verständnis des Dokumentarischen beim Dokumentarfotografie-Förderpreis ist insofern wichtig, als dass Preise in der Szene eine stillbildende (Vorbild-) Funktion vor allem für jungen Fotograf_innen haben. Die hier skizzierten Beobachtungen reihen sich ein in Tendenzen in der zeitgenössischen Fotografie, den Begriff des Dokumentarischen zu verwässern. Damit ist meiner Ansicht nach die Gefahr verbunden, dass er zur Beliebigkeit verkommt und vor allem sein dokumentarischer und soziopolitischer Anspruch, gesellschaftliche Realitäten über authentische Bilder zu vermitteln, Schaden nehmen könnte. Keineswegs soll damit die Qualität der einzelnen Arbeiten kritisiert werden, die jede für sich ihren Wert haben, jedoch vielleicht besser in einem Kunst-Kontext aufgehoben wären.

Die Ausstellung ist noch bis zum 3. April 2016 im Photomuseum Braunschweig zu sehen. Die Gewinnerbilder sind auch in einem Katalog vertreten, der über die Wüstenrotstiftung zu beziehen ist.

Mittwoch, 2. März 2016

Back Stories – Krieg und Gewalt in Fotobuch und Graphic Novel


Am 3. März werde ich zusammen mit Michaela Zöhrer von der Universität Augsburg in Bonn eine Workshopeinheit in Form einer Fishbowl-Diskussion zum Thema „Krieg und Gewalt in Fotobuch und Graphic Novel“ anbieten.

Bilder von Krieg sind in Nachrichtenmedien und sozialen Netzwerken allgegenwärtig.
Dabei ist die bildnerische Darstellung von Konflikten in den Massenmedien meist
ereigniszentriert und fokussiert auf Gewalt und Leid. Vor allem in den sozialen Medien halten zudem zunehmend Bilder von Amateuren Einzug. Grundsätzlich ist somit eine Tendenz zur Verbreitung von visuellen Informationen in Echtzeit zu beobachten. Alternative, vor allem zeitintensivere Darstellungsformen von Konflikt und Gewalt sowie visuelle Hintergrundberichterstattung haben es vor diesem Hintergrund schwer, sich in Massenmedien und sozialen Netzwerken durchzusetzen. Aus diesem Grund weichen Produzenten zunehmend auf andere Formate wie das Fotobuch oder die Graphic Novel aus.

Das Medium Fotobuch wird von Fotojournalisten vor allem dann gewählt, wenn es um die Präsentation umfangreicher Projekte geht. Der Vorteil besteht darin, dass anders als in journalistischen Medien die Kontrolle über das Produkt vollständig beim
Fotojournalisten liegt. Im vergangen Jahr sorgte das Buch „War Porn“ des deutschen
Fotojournalisten Cristoph Bangert für Aufruhr. Er publizierte darin Kriegsbilder, die von den Redaktionen abgelehnt worden waren. Der Schweizer Fotograf Meinrad Schade hingegen hat sich auf eine Spurensuche am Rande des Krieges in der ehemaligen Sowjetunion begeben, die er unter dem Titel „Krieg ohne Krieg“ publiziert hat. Während das Schades Arbeit ein Beispiel für eine dokumentarische Arbeit ist, hat Bangerts Arbeit vor allem einen selbstreflexiven, medienkritischen Fokus.

Auch Graphic Novels widmen sich unter Rückgriff auf die gestalterischen Mittel des
Mediums Comic immer häufiger den Themen Krieg und Gewalt. Zugerechnet werden
diese Graphic Novels dem „Comics Journalism“ bzw. „Graphic Reporting“, womit deren Nähe zum klassischen Journalismus angesprochen ist. Denn geht es bei diesen Comics nicht um Superheldengeschichten, sondern um die Recherche und Darstellung „wahrer Begebenheiten“. Besonders bekannt sind die Arbeiten des Comiczeichners Joe Sacco, bspw. „Palestine“ (dt.: Palästina), „Safe Area Gorazde“ (dt.: Bosnien) oder „Footnotes in Gaza“ (dt. Gaza). In allen diesen Bänden bilden Saccos Recherche-Aufenthalte vor Ort das Hauptnarrativ, das jeweils durchflochten wird von Augenzeugenberichten und dokumentierenden Einschüben, mit Hilfe derer zurückliegende Kriegsereignissen und Krisensituationen nachgezeichnet werden.

In einem dialogischen Gespräch in Form einer Fishbowl werden Felix Koltermann und Michaela Zöhrer verschiedene Comics und Fotobücher vorstellen. Ziel ist es, das Potential dieser Darstellungsformen zu eruieren, Krieg und Gewalt abseits tagesaktueller und ereigniszentrierter Berichterstattung sichtbar zu machen. Felix Koltermann wird Michaela Zöhrer über ihre Auswahl von Graphic Novels befragen, und umgekehrt Michaela Zöhrer Felix Koltermann zu den Fotobüchern. Ein weiterer Platz in der Mitte der Fishbowl ist für Gäste reserviert, die zu jedem Zeitpunkt in das Gespräch einsteigen können. Ergänzt wird die Diskussion durch einen umfangreichen Büchertisch, an dem weitere Beispiele ausliegen und eine Anregung zur vertieften Beschäftigung mit dem jeweiligen Medium bieten sollen.

Der Workshop ist Teil der Konferenz „Making the invisible visible“ des Arbeitskreises junger Wissenschaftler_innen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) die am 2. und 3. März 2016 am Gustav-Stresemann-Institut in Bonn stattfindet. Bei Interesse kann das Format abgewandelt auch als Abendveranstaltung angeboten werden.